Im Glasschrank meiner Oma standen früher viele Sammeltassen.
Eine war schöner, als die andere. Zu feierlichen Anlässen kamen sie auf den Tisch. Jeder konnte sich eine Farbe aussuchen und für mindestens zwanzig Personen war ein Sammelgedeck da.
Das hauchdünne Porzellan im barockem Stil mit Goldrand musste sorgsam behandelt werden, denn es konnte leicht zerbrechen.
Es war immer ein Ereignis für uns Kinder, wenn wir uns ein Gedeck aussuchen konnten und um das Dunkelrote gab es immer Streit, weil jeder es haben wollte.
Meistens saßen wir Kinder an einem Extratisch, weil an der langen Kaffeetafel kein Platz mehr war.
Das war auch gut so, denn so konnten wir beim Kaffee trinken und Kuchen essen weiterspielen oder rumspinnen.
Der Umgang mit dem feinen Porzellan regte unsere Fantasie an.
„Wie benehmen sich vornehme Damen?“ hieß das Spiel, wenn wir zusammen saßen.
Pflicht war, beim Führen der Tasse zum Munde, den kleinen Finger abzuspreizen und mit spitzer Schnute zu trinken.
Lachen war verboten, denn eine „vornehme Dame zu sein“ war kein Spaß. Nach unserem Dafürhalten waren solche Damen dämlich und humorlos. Dazu mussten gestelzte Sätze über „Damenthemen“ von sich gegeben werden. Je dämlicher sich eine Dame benahm, ums so schöner war es.
Ich muss dabei erwähnen, dass ich wohl einer feinen Dame am allernächsten kam, denn meine Rollenspielpartner waren mein Bruder und meine zwei Cousins.
Viele Jahre… meistens zum Geburtstag meiner Oma im Februar oder zu Weihnachten, wenn die Familie zusammenkam, spielten wir dieses schöne Spiel und konnten gar nicht genug davon bekommen.
Wenn ich heute ähnliche Tassen sehe, muss ich an diese Zeit denken und wenn es keiner sieht, spreize ich beim Trinken noch immer den kleinen Finger ab.
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