Dienstag, 13. Mai 2014

Wie ich zu einem Roboterfinger kam

Montag morgen fängt alles an. 
Mein Mittelfinger der linken Hand tut zunächst nur weh, irgendwie brennt es auch. Gedacht hab ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nichts.
Gegen Mittag nehmen die Schmerzen zu ...der Finger pumpt sich auf...und  bekommt einen Buckel, sodass ich um den Finger herum wie Quasimodo aussehe. Jetzt bekomme ich doch Schiss und renne von meiner Arbeitsstelle schnurstracks ins ortsansässige Krankenhaus.
Wie erwartet ist die Notaufnahme brechend voll. Schuljungs mit gebrochenem Arm oder Bein und aufgeschlagenem Kinn sitzen da, ein Vater mit drei Kleinkindern, die gerade die Bude auseinandernehmen. Viele ältere Leute mit mindestens zwei (!!!) Angehörigen, gepackter Reisetasche und ernstem Gesicht verstopfen die Wartehalle und blockieren alle Stühle. Ich klingele an der Notaufnahme und eine Frau steckt den Kopf heraus und teilt mir mit, dass ich nur eine Minute warten muss und dann drankomme
Dumm stehe ich herum, der Quasimodo-Finger brennt und ich freunde mich ein wenig mit ihm an. "Hallo mein neuer Freund, du siehst echt hässlich aus aber du fasst dich gut an. Ganz glatt und obendrauf bist du so gespannt, dass die Haut schon durchsichtig ist und ich ein bisschen in dich hineinguggen kann." Todkrank stehe ich mir die Beine in den Bauch und bin sauer auf die ganzen gesunden Angehörigen, die mit vollstem Recht Stühle einnehmen und mir keinen Platz frei machen. 

Rachegedanken machen sich breit. Wenn Quasimodo jetzt platzt, bricht hier eine Massenpanik aus, alle rennen raus und ich habe endlich einen Sitzplatz, der mir und meinem Gebrechen angemessen ist. Bei dem Gedanken muss ich breit grinsen und lerne nebenbei, dass eine Krankenhausminute in meiner realen Quasimodo-Welt ganz genau dreißig Minuten bedeutet.
Nun darf ich endlich durch die Notaufnahmetür schreiten, es öffnet sich die Welt meiner Errettung und alle überflüssigen unkranken Angehörigen haben nochmal verdammt Schwein gehabt, dass die Tür kurz vor Ausbrechen der Massenpanik überhaupt aufgegangen ist.

Vor mir sitzt nun eine Praktikantin, auf ihrem Namensschild steht jedenfalls dieses Wort,in gescheckter Hose und Zebrapulli, nichts passt zusammen. "Was haben sie denn?" Ich will´s kurz machen, um schnell dranzukommen. "Mein Finger platzt gleich." sage ich kurz und bündig
"Äh ja, ich sehe es, was schreibe ich denn jetzt auf?" fragt sie etwas hilflos. Ich diktiere: "Starke Schwellung am Mittelfinger links, rezidivierendes Ganglion." Sie schreibt mit, liest die Karte ein und schickt mich wieder raus. "Bitte eine Tür weiter, sie werden mit Namen aufgerufen." 

Der Warteraum nebenan ist angenehm leer. Keine unkranken Angehörigen, nur ich und der Schuljunge mit gebrochenem Arm sitzen da. 
Die Wartezeit nutze ich um anzurufen. Meinen Eltern, meiner Tochter und anderen wichtigen Leuten aus meinem Leben jage ich richtig Angst ein und erzähle von einem gleich platzendem Finger. Der Schuljunge hört alles mit. Mein Horrorbericht tut seine Wirkung. Alle sind bestürzt und machen sich jetzt Sorgen um mich. Ich bin sehr zufrieden mit mir.
Über den Lautsprecher werde ich aufgerufen und darf nun in einem Mini-OP weiterwarten . 
Auf der Pritsche ist´s ganz gemütlich, mit dem Handy schieße ich Krankenhausfotos. Zwischendurch schaut immer eine Schwester rein und sagt zu mir:"Ich hab sie nicht vergessen." Nach einer weiteren "Krankenhausminute" kommt eine junge Ärztin. Sie betrachtet Quasimodo und meint:"Davon habe ich keine Ahnung,ein Spezialist muss her."  Ich warte weiter. 
Ein asiatischer Arzt, nennen wir ihn mal Dr. Schnitzpicki, seines Zeichens eine Koryphäe in der Handchirurgie kommt hereingestürmt, betrachtet meinen neuen Freund und sagt:" Der kann jeden Moment platzen...." und rennt wieder raus!!!

Die Schwester sagt zu mir; " Da machen wir jetzt einen Termin." "Ähhhhhh.... aber der kann doch jeden Moment platzen, so gehe ich nicht nach Hause." teile ich ihr mit und bleib bockig sitzen. "Na wenn das so ist, dann melde ich sie oben in der plastischen Chirurgie an, 1. Etage." 
Ganz schön erleichtert bin ich jetzt und begebe mich ein Stockwerk höher. Ruhig ist es hier, man kann schon fast sagen tot. Keiner ist mehr da aber hinten um die Ecke gable ich noch eine Sekretärin auf. Wir wickeln allen Papierkram ab und sie holt den Schönheitschirurgen. Da sowieso keiner mehr da ist beschaut er meinen Finger gleich auf dem Gang und verpasst mir einen Op-Termin für Freitag
Dann soll ich mitkommen und es geht wieder runter in den Mini-OP. Man, hat der nen Schritt drauf. Ich komm kaum hinterher, finde die gebotene Eile dennoch für meine schwere Erkrankung angemessen
Dann geht alles ganz schnell. Mir einer Kanüle wird der Buckelfinger aufgestochen, es piekst auch nur kurz und lauter Gel wird rausgequetscht. Das Gelenk muss ruhig gestellt und soll deshalb geschient werden. Die Schwester holt eine Metallschiene, die aussieht, wie aus einem Metallbaukasten und bastelt alles mit Gaze, Salbe, Mull und so zusammen. Es sieht wirklich sehr schick aus denke ich und erfahre, dass am  Freitag richtig operiert wird. Fröhlich werde ich entlassen und darf im strömenden Regen nach Hause gehen, netterweise fährt mir der Bus noch vor der Nase weg.
Zu Hause ist Sohn argwöhnisch. "Wieso hast du nen Roboterfinger?" will er wissen. "Der ist elektrisch" .... blödle ich und sage jedes mal "bieppppp", wenn ich ihn damit antippe. Voll sauer ist er jetzt und will mit mir und Quasimodo nichts mehr zu tun haben.
Mir bleibt nur noch, alle wieder anzurufen, um das Mitleid bis Freitag aufrecht zu erhalten.
Jetzt wisst ihr, wie ich zu meinem Roboterfinger kam.

12 Kommentare:

  1. Aua, was für ne Horror-Story. Also mein Mitleid haste ;-))
    Wünsche gute Besserung.
    LG Ursula

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    1. hihi, danke. sehen uns morgen und dann geb ich so richtig an mit meinem roboterfinger....

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  2. jetzt musst du deinen Roboterfinger nur noch richtig programmieren ;-)

    Lass es dir schnell wieder gut gehen!

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    1. der finger muss nur gut aussehen, sonst nix. und so gesehen bin ich ganz zufrieden mit ihm....

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  3. Nee Astrid, nee so geht das nicht! Du hast am Finger ein Glöcknersyndrom, ordentlich Schmerzen und ich lach mich scheckig. Ich kann ja wohl nicht mehr. Dabei sollte ich Mittleid haben und nicht vor Lachen nach Luft schnappen. Das ist so gemein von Dir, uns so eine mords Story zu erzählen! Der vor allem nichts zugedichtet ist. Ich kenne nämlich auch die Notaufnahmeminuten, die in der Tat 30 Erdenminuten entsprechen. Ich drück Dir ganz feste alle vorhandenen Daumen, dass Du am Freitag einen schönen, neuen Finger wiederbekommst! Ich ich freu mich ganz doll auf morgen, wenn wir alle Deinen "Spinnerinnendaumen" bewundern dürfen. (Au weia, das Märchen scheint wohl doch war zu sein. Jetzt fehlen nur noch Fuß und Lippe. :o( )
    Liebe Genesungsgrüße
    Tanja

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    1. jawohl. morgen geb ich ordentlich an mit meinem robo-finger. ich bin die transformer-mama.... grusel.
      wir sehen uns.

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  4. OPs kurz vor Stricktreffen scheinen langsam zur Gewohnheit zu werden... Toitoitoi & gute Besserung!

    LG,
    Resli

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    1. ach, ist ja im grunde nix schlimmes. habs ja nur bissl dramatisiert....

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  5. Du hast mein vollstes Mitleid, aber ich amüsiere mich köstlich ;-)
    Alles Gute für die lebensrettende Not-Op am Freitag!

    Lg Nell

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    1. ja vielen dank für das tolle mitleid, die allgemeine anteilnahme freut mich ja. wird schon, die op kann mich ja nicht schrecken...
      l g c

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  6. Was für eine Geschichte - köstlich :-)
    Du solltest atomare schreiben!!!!
    Für Freitag alles Gute, wir sehen ins Sonntag :-)
    Liebe Grüße
    Tine

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    1. vielen, dank, fühle mich sehr geehrt und froi mich, dass ihr spass an meinen ergüssen habt. eile heute zur op, liebe grüsse
      c

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